Beim Lesen der Gedichte von Dietrich Wagner betreten wir eine Bühne. Die Bühne der Zwei. Sie ist der Austragungsort einer besonderen Art von Dialogen zwischen Zweien. Dem lyrischen ICH und seinem Gegenüber. Unverkennbar Mann und Frau. Aber das ›In-den-Dialog-treten‹ geschieht hier in besonderer Form. Es sind Gespräche der Körper. Die Verwandtschaft von Sprache und Körper wird zum wechselseitigen Dialog von Wort und Haut. Im Erröten des Anderen entdeckt Dietrich Wagner eine Mitteilung der Haut, deren Sinn aber notwendigerweise im Verborgenen bleibt. Es ist eine Botschaft des Körpers, die er gleichzeitig ent- und verrätselt. Er entdeckt in ihr das Wesen der Poesie: Denn wie die Poesie das Spiel mit dem Unsagbaren ist, ist das Erröten der Haut eine Äußerung des Unsagbaren. So umkreist er das Rot und öffnet es unserer Phantasie. Wie übersetze ich das Rot und seine verwandten Schattierungen bis zum Erblassen? Da es kein Wörterbuch der Haut gibt, wird der Autor zum Leser, der – so wie wir auch Gedichte lesen – interpretiert. Was ließ Dich erröten? Was ist Ursache und was Wirkung? Folgt das Erröten auf das Wort, oder geht das Erröten dem Wort voraus? War es ein flüchtiger Gedanke? Scham? Freude? Nähe? Glück?
Mehr noch: es ist die ganze Skala des Glücks, die nur dem widerfährt, der genau hinschaut. Der Leser der Gedichte wird so zum intimen Leser der Botschaften der Körper, die der Autor durch seine Worte mit uns teilt. Er lässt mich beim Lesen erröten. Er lässt mich Teil haben, die ›Bühne der Zwei‹ wie ein nahes und intimes Kammerspiel zu betrachten. Mit der Besonderheit, das ich (während des Lesens) der einzige Zuschauer bin. Schon wieder ein Grund zum Erröten. Den Grund dazu liefert mir auch meine Phantasie, mit der ich die stummen Sprech-Akte mit Bildern auffülle. Mit eigenen Erinnerungen. Mit Beobachtungen. Indem ich die Zeit anhalte. Und den Atem. Denn ich folge einer Spur. Die Spur, die der Autor wie eine Fährte ausgelegt hat – und die alle Gedichte durchzieht. Die Botschaften der Haut erschließen sich nur dem Liebenden, als der sich der Autor hier zeigt. Und also lese ich Liebesgedichte.
Hannes Hametner, Wien im April 2018